Durchatmen
Durchatmen. Ein tiefer Atemzug – alles, was man braucht um sich zu erden. Durchatmen – etwas, was so einfach klingt und doch so schwer ist. Durchatmen – etwas, was so unfassbar schwer sein kann.
Depressionen sind etwas, wo man durchatmen muss, aber auch etwas, was man verfolgen muss – etwas, was nicht einfach weggeht. Ist der Dämon einmal im Haus, macht er es sich bequem und begleitet dich überall hin. Manchmal ist er bloß da und wartet, wartet so leise und lange, dass du denkst, dass er ausgezogen ist. Du suchst durch seine Boxen und – atmest durch – alles ist noch da, aber er nicht. Du vergisst ihn für eine Weile, kommst zum Atmen, kannst die dreckigen Teller und den Müll, den er überall hinterlässt, aufräumen.
Deine Wohnung wird immer mehr zu deiner Wohnung. Du lädst Freunde ein. Du kümmerst dich um dich selbst. Es vergehen Tage, Wochen, vielleicht sogar Monate. Du denkst, dass endlich alles wieder gut sei – bis er das neue Schloss wieder knackt und deine Wohnung binnen Minuten wieder verwüstet.
Du fragst ihn immer wieder und wieder wieso er das tut, ob er nicht einfach ruhig sein kann, ob er dich nicht einfach in Ruhe lassen kann. Du willst wissen, warum er dieses Mal wieder da ist – aber du kriegst keine Antwort. Du versuchst durchzuatmen – immerhin hat es dir in seiner Abwesenheit geholfen – aber die Luft stinkt. Die Luft eignet sich nicht mehr zum Atmen. Du fragst dich, ob es schon immer so schlimm war, wenn er da war. Du fragst dich, wie du es je mit ihm ausgehalten hast. Du fragst dich, wieso du, wieso alle anderen so glücklich sein können, wenn sie doch das selbe machen wie du.
Es wiederholt sich immer wieder. Zeiten, wo du durchatmest und Zeiten, wo du förmlich erstickst.
Es gibt immer wieder Zeiten, wo du fast jeden Tag Kontakt hast mit Menschen und Zeiten, wo du dein Zimmer kaum verlässt. Es gibt Zeiten, wo dein Zimmer sauber bleibt und Zeiten, wo Staubmäuse und dreckige Sachen dein Zimmer bestimmen. Es gibt Zeiten, wo du förmlich nichts isst und Zeiten, wo du jede Mahlzeit zu dir nimmst. Es gibt Zeiten, wo du produktiv bist und Zeiten, wo du dein Bett über Stunden nicht verlässt. Es gibt Zeiten, wo du erstickst und Zeiten, wo du durchatmest.
Es gibt Zeiten, wo du dir endlich eingestehst, dass du Hilfe brauchst und Zeiten, wo du doch lieber warten willst. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo du dir immer eingestehst, dass du den Dämon rauswerfen willst oder zumindest willst, dass er dir antwortet oder ihr zumindest besser klar kommt, wenn er dich wieder besucht.
Und wenn dir auch das Hilfe suchen zu schwer wird – Durchatmen. Er wird nicht immer so schlimm sein, wie gerade. Selbst in dem Gestank ist noch irgendwo frische Luft. Frische Luft, die dir erlaubt durchzuatmen.
Von Sarah
Veröffentlicht am 24.01.2022
Es geht dir nicht gut? Du suchst Hilfe?